Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung zur Durchführung von Präventionsverfahren innerhalb Wartezeit verpflichtet
PM, LAG Köln, Urt. v. 12.09.2024 – 6 SLa 76/24
Sachverhalt:
Der Kläger ist seit dem 01.01.2023 im Bauhof der beklagten Kommune beschäftigt. Er verfügt über einen Grad der Behinderung von 80. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 22.06.2023 innerhalb der Probezeit, ohne zuvor ein Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX durchgeführt zu haben.
Das Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX ist ein kooperatives Klärungsverfahren. Das Verfahren muss der Arbeitgeber unter Beteiligung internen und externen Sachverstandes (insb. Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Rehabilitationsträger) durchführen, wenn der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gefährdet ist. Führt der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nicht durch, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Es wird dann vermutet, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen des nicht durchgeführten Präventionsverfahrens diskriminiert hat.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage.
Verfahrensgang:
Das Arbeitsgericht Köln gab der Kündigungsschutzklage statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das LAG Köln die Klage hingegen ab. Gegen die Entscheidung kann Revision vor dem BAG eingelegt werden.
Aus der Pressemitteilung:
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 entschieden, dass der Arbeitgeber während der Wartezeit von 6 Monaten gem. § 1 Abs. 1 KSchG nicht verpflichtet ist, ein Präventionsverfahren durchzuführen. Entgegen der vorbenannten BAG-Entscheidung hat das LAG Köln nun entschieden, dass der Arbeitgeber bei auftretenden Schwierigkeiten bereits innerhalb der ersten 6 Monate eines Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren durchführen muss. Die vom BAG vorgenommene zeitliche Begrenzung ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 167 SGB IX noch durch Auslegung der Auslegung der Vorschrift, so das LAG Köln. Wegen der auch vom BAG angenommenen strukturellen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der ersten 6 Monate („Probezeit“) zum Abschluss zu bringen, hat das LAG Köln für diese Sonderkonstellation eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers vorgenommen. Dadurch soll eine Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht faktisch vollständig ausgeschlossen werden.
In dem vorliegenden Fall hat das LAG Köln die Kündigungsschutzklage letztlich abgewiesen, weil es aufgrund unstreitiger Tatsachen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Probezeitkündigung nicht wegen der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers ausgesprochen wurde.
Fazit und Kommentar:
Die Entscheidung des LAG Köln ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob sich das BAG mit der Thematik auseinandersetzen wird.
Zwischenzeitlich hat sich jedoch das ArbG Freiburg mit Urt. v. 04.06.2024, 2 Ca 51/24 der Auffassung des LAG Köln angeschlossen. Gegen das Urteil des ArbG Freiburg ist Berufung vor dem LAG Baden-Württemberg zu dem AZ 10 Sa 31/24 eingelegt worden.
Arbeitgebern bleibt bis zu einer Entscheidung des BAG die Empfehlung, vorsorglich und möglichst frühzeitig das – zeitintensive – Präventionsverfahren einzuleiten und durchzuführen. Dies umso mehr, als dass bei unterlassenem Präventionsverfahren Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entstehen können. Sollten Sie Fragen zu einer Kündigung oder zu der Wartezeit haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Silvana Dzerek
Fachanwältin für Arbeitsrecht