Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung verschärft – seit dem 01.01.2017

Mit dem am 01.12.2016 beschlossenen und am 01.01.2017 in Kraft getretenen Bundesteilhabegesetz soll die gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden. Der Schwerpunkt des Bundesteilhabegesetzes liegt in der Neufassung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Vorgesehen sind mehrere Reformstufen. Für die betriebliche Praxis entwickelt bereits die erste Stufe Bedeutung, denn die Rechte der Schwerbehindertenvertretung werden deutlich gestärkt. Dies führt zum Einen zu einer Ausweitung des Kündigungsschutzes schwerbehinderter Arbeitnehmer und zum Anderen zu deutlich aufwändigeren Kündigungsverfahren in der Praxis.

Als schwerbehindert gilt ein Arbeitnehmer mit einem anerkannten Grad der Behinderung von mindesten 50. Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30, aber weniger als 50 können auf Antrag einem Schwerbehinderten gleichgestellt werden und erhalten so im Kern denselben Schutz.

Bisherige Rechtslage:

Nach der bisherigen Rechtslage war der Arbeitgeber nach § 95 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung die Schwerbehindertenvertretung anzuhören. Sofern der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung pflichtwidrig nicht anhörte, hatte dies keine Auswirkungen auf die ausgesprochene Kündigung. Der Schwerbehindertenvertretung blieb in den Fällen nur, die Rechte in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren wie bspw. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchzusetzen. In der Praxis haben die Schwerbehindertenvertretungen ihre Rechte sehr zurückhaltend gerichtlich geltend gemacht. Die Arbeitgeber ließen sich von drohendem Bußgeld nicht beeindrucken und sprachen Kündigungen regelmäßig ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung aus.

Neue Rechtslage:

Nach der neuen Rechtslage bleibt die Säumnis des Arbeitgebers nicht folgenlos. Der Arbeitgeber ist weiterhin verpflichtet, die Schwerbehinderung vor Ausspruch einer Kündigung zu unterrichten und anzuhören. Tut er dies nicht, regelt nunmehr § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX n.F., dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam ist. Damit steigen die Anforderungen an eine wirksame Kündigung erheblich. Sofern in einem Betrieb ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung bestehen, muss der Arbeitgeber nun mindestens drei Verfahren vor Ausspruch einer Kündigung durchführen.

  • Ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats
  • Ordnungsgemäße Anhörung der Schwerbehindertenvertretung
  • Einholen der Zustimmung des Integrationsamtes

Fazit und Kommentar:

Sowohl die Verantwortung als auch der Einfluss der Schwerbehindertenvertretung gegenüber dem Arbeitgeber steigen mit der Stärkung der Rechte von Schwerbehinderten bei Kündigungen. Da es weder eine gesetzliche Regelung noch einschlägige Rechtsprechung zu den Anhörungs- und Stellungnahmefristen der Schwerbehindertenvertretung gibt, bietet sich in der betrieblichen Praxis eine Orientierung an der Fristenregelung des § 102 BetrVG an. Klarheit zur Fristenregelung wird letztendlich die Rechtsprechung bringen müssen. Nicht geregelt ist zudem, der zeitliche Zusammenhang zwischen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung und Antrag des Arbeitgebers beim Integrationsamt. In der Praxis erhielt die Schwerbehindertenvertretung die Informationen bei beabsichtigter Kündigung bislang regelmäßig nicht über den Arbeitgeber, sondern über den Betriebsrat.

In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 30.11.2016 zu dem Gesetzesentwurf wird explizit ausgeführt, dass im Falle der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung in der Regel auch der Betriebsrat zu beteiligen ist. Die Schwerbehindertenvertretung hat ferner nach § 95 Abs. 4 S. 1 SGB IX das Recht an allen Sitzungen des Betriebsrates teilzunehmen. Angesichts dessen bietet es sich an, die Schwerbehindertenvertretung in der Praxis parallel zum Betriebsrat anzuhören. In jedem Fall sollten die Gremien durch separate Schreiben angehört werden, um im Streitfall eine ordnungsgemäße Beteiligung zu dokumentieren. Vor einer abschließenden Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrates sollte keine Kündigung ausgesprochen werden.

Eine wirksame Kündigung bedarf neben einem greifenden Kündigungsgrund auch der Zustimmung des Integrationsamtes, sofern diese im Falle einer außerordentlichen Kündigung nicht fingiert wird.

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Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht