Kündigung ohne Abmahnung wirksam

LAG Thüringen, Urt. vom 03.05.2022 – 1 Sa 18/21

Sachverhalt:

Die 60-jährige Klägerin wurde vier Jahre bei einem Kreisrat und seit 1990 bei einem Arbeitsamt beschäftigt. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei den Arbeitszeitbuchungen wurde ein Abgleich mit dem Buchungsjournal der Arbeitszeiterfassung durchgeführt. Hierbei ergab sich, dass die Klägerin an drei Tagen keine Pause, sondern nur den Beginn und das Ende ihrer Arbeitszeit gebucht hatte.

Die beklagte Arbeitgeberin forderte die Klägerin mit Schreiben vom 22.01.2019 zur Stellungnahme zu den unterlassenen Arbeitszeitbuchungen auf. Der Eindruck der Arbeitszeitmanipulation sei entstanden.

Die Klägerin führte aus, dass die von der Arbeitgeberin genannten Zeiten richtig sein könnten, da sie als Raucherin entsprechende Zigarettenpausen benötige. Die Klägerin schrieb: Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es mir sehr leid tut, dass ein solcher nachlässiger „Schludrian“ bei mir eingerissen ist. Ich habe Ihre Mitteilung deshalb sehr ernst genommen und seither jede einzelne Raucherpause ganz genau und minutiös aufgezeichnet. Ein derartiges Verhalten wird sich mit Sicherheit nicht mehr wiederholen, hiervon können Sie ausgehen.“

Die Arbeitgeberin sprach sodann eine fristlose Kündigung, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.09.2019 aus.

Verfahrensgang:

Das Arbeitsgericht Suhl gab dem Kündigungsschutzantrag nur im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung statt. Die hilfsweise ausgesprochene Kündigung zum 30.09.2019 befand das Arbeitsgericht hingegen für wirksam. Die Klägerin hat gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt, sie hatte vor dem LAG Thüringen aber keinen Erfolg. Das LAG Thüringen hat die Revision zum BAG zugelassen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zu Recht hat das Arbeitsgericht die ordentliche Kündigung zum 30.09.2019 als wirksam erachtet. Die Kündigung ist als verhaltensbedingte Kündigung wegen beharrlicher Verstöße gegen Dokumentationspflichten und daraus folgenden Arbeitszeitbetrugs gerechtfertigt. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert nicht an einer fehlenden sozialen Rechtfertigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG.

Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Dasselbe gilt für den Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren.

Es kommt hierbei auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit von am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmern vertrauen können.

Die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, ist geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die von der Klägerin eingewandte Nikotinsucht kann allenfalls die Anzahl der Raucherpausen erklären. Der Vorwurf bezieht sich aber ausschließlich auf die verletzten Pflichten zur ordnungsgemäßen Dokumentation der Pausenzeiten. Dass die Klägerin durch ihre Nikotinsucht daran gehindert gewesen wäre, ordnungsgemäß ihre Arbeitszeit zu erfassen, hatte sie selbst nicht vorgetragen.

Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung war nicht erforderlich. Angesichts der Kenntnis der Klägerin von der Pflicht zur Buchung von Raucherpausen, der Schwere des Vertrauensbruchs und der strafrechtlichen Relevanz ihres Verhaltens konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Beklagte ihr Fehlverhalten hinnehmen und es nicht zum Anlass für eine Kündigung – auch ohne vorherige Abmahnung – nehmen würde.

Wegen der Schwere der Pflichtverletzung stellte sich die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung auch nach der durchzuführenden Interessenabwägung als sozial gerechtfertigt dar. Zwar war die Klägerin bereits seit über 30 Jahren bei der Beklagten bzw. deren „Vorgängern“ beschäftigt. Zulasten der Klägerin ging jedoch, dass ihre Pflichtverletzung unter dem Gesichtspunkt des Arbeitszeitbetrugs strafrechtliche Relevanz hat. Auch nach 30-jähriger Beschäftigungsdauer kann einem verständigen Arbeitgeber nicht zugemutet werden, durch das vorsätzliche Nichterfassen von Pausenzeiten betrogen zu werden. Durch die Möglichkeit, die Arbeitszeit im Rahmen des flexiblen Arbeitszeitmodells selbst zu erfassen, haben alle Arbeitnehmer und so auch die Klägerin einen Vertrauensvorschuss erhalten. Dieses Vertrauen hatte die Klägerin missbraucht.

Fazit und Kommentar:

Die Entscheidung des LAG Thüringen zeigt, dass entgegen der weitläufigen Meinung nicht immer eine Abmahnung erforderlich ist, bevor der Arbeitgeber wirksam kündigen kann. Es kommt auf die konkrete Pflichtverletzung an. Zudem hebelt eine langjährige Betriebszugehörigkeit nicht die soziale Rechtfertigung einer Kündigung aus. Zuletzt war es der Arbeitgeberin durch die Stellungnahme der Klägerin möglich, den Betrug nachzuweisen. Daher ist es in jedem Fall ratsam, nicht nur zur Vorbereitung der Anhörung des Arbeitnehmers, sondern auch vor Abgabe einer Stellungnahme des Arbeitnehmers einen Fachanwalt für Arbeitsrecht zu konsultieren. Fragen Sie uns hierzu gerne an und vereinbaren Sie einen persönlichen Beratungstermin.

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht