Sonderkündigungsschutz des Mitglieds des Wahlvorstands begründet vorläufige Beschäftigungspflicht

LAG Berlin-Brandenburg Urt. v. 12.01.2022 – 23 SaGa 1521/21

Pressemitteilung 1/22 v. 07.02.2022

Der Kläger ist als „Rider“ bei einem Kurierdienst befristet beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte ihm außerordentlich, weil er sich an einem illegalen Streik beteiligt habe. Der Arbeitnehmer verlangt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes seine weitere tatsächliche Beschäftigung. Er macht geltend, dass er auch vor der noch ausstehenden Entscheidung des Arbeitsgerichts über die ausgesprochene Kündigung vorläufig weiterbeschäftigt werden muss. Denn er sei Mitglied des Wahlvorstandes für die anstehende Betriebsratswahl und die Kündigung ist damit offensichtlich unwirksam.

Verfahrensgang:

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gab dem Antrag des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der vereinbarten Befristung im Gegensatz zu dem Arbeitsgericht statt. Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ist nicht gegeben.

Aus der Pressemitteilung:

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg geht von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung aus. Denn der Arbeitnehmer ist zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Mitglied des Wahlvorstands gewesen. Damit genießt der Arbeitnehmer besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG. Aufgrund dieses Sonderkündigungsschutzes erfordert eine wirksame Kündigung eine vorherige gerichtliche Zustimmungsersetzung. Eine vorherige gerichtliche Zustimmungsersetzung liegt aber nicht vor. Daher ist von einem bestehenden Arbeitsverhältnis auszugehen. Somit ist ein Anspruch auf Beschäftigung gegeben.

Der Anspruch auf Beschäftigung ist im einstweiligen Rechtsschutz durchsetzbar. Denn das Recht des Arbeitnehmers auf Beschäftigung geht andernfalls durch Zeitablauf unwiederbringlich verloren. Weitergehend besteht kein berechtigtes Interesse der Arbeitgeberin an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes. Bei Berücksichtigung des Zwecks des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes überwiegt das Beschäftigungsinteresse.

Fazit und Kommentar:

In der Zeit vom 01.03. bis zum 31.05.2022 finden bundesweit in rund 28.000 Betrieben Betriebsratswahlen, die sich alle 4 Jahre wiederholen. Der Gesetzgeber hat sich mit dem am 18.06.2021 in Kraft getretenen Betriebsrätemodernisierungsgesetz die Förderung von Betriebsratswahlen zum Ziel gemacht. In diesem Zusammenhang ist der Sonderkündigungsschutz noch einmal ausgeweitet worden. So genießen selbst die Wahl vorbereitende Personen unter bestimmten Voraussetzungen Sonderkündigungsschutz. Daher überrascht die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg nicht.

Haben Sie Fragen zu Ihrem konkreten Fall, kontaktieren Sie uns gerne zur Vereinbarung eines Beratungstermins. Wir beraten Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsräte.

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht