Kein Verzicht auf gesetzlichen Mindesturlaub

BAG, Urt. v.  03.06.2025 – 9 AZR 104/24

Sachverhalt:

Der Kläger war seit dem 01.01.2019 bei der Beklagten als Betriebsleiter beschäftigt. Der Kläger hatte arbeitsvertraglich einen Anspruch auf 30 Urlaubstage pro Jahr. Zu Beginn des Jahres 2023 hatten der Kläger und die Arbeitgeberin einen Rechtsstreit. In diesem Rahmen einigten sich die Parteien durch gerichtlichen Vergleich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger hatte bis zu diesem Zeitpunkt keinen Urlaub genommen, er war durchgängig arbeitsunfähig erkrankt. Der Vergleich beinhaltete u.a. folgende Klauseln:

„…Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.

… Die Parteien sind sich darüber einig, dass über die hier geregelten Ansprüche hinaus weitere Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund, nicht mehr gegeneinander bestehen.“

Die Bevollmächtigte des Klägers wies vor Abschluss des Vergleiches darauf hin, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könnte. Die Rechtsauffassung wiederholte die Bevollmächtigte des Klägers in der Mitteilung an das Gericht, welches die Zustimmung zum Vergleich enthielt. Das ArbG Siegburg stellte nach Zustimmung der Beklagten den Vergleich gerichtlich fest.

Nach Abschluss des Vergleichs machte der Kläger die Abgeltung für 7 Urlaubstagen in Höhe von 1.615,11 EUR brutto geltend.

Die Beklagte wandte ein, dass der Kläger mit dem gerichtlichen Vergleich auf gesetzliche und übergesetzliche Urlaubsansprüche verzichtet hatte. Der Urlaub sei durch Vergleich umfassend abgegolten worden, andernfalls hätte die Beklagte sich nicht auf den Abschluss des Vergleichs eingelassen.

Verfahrensgang: 

Das ArbG Siegburg und das LAG Köln haben der Klage auf Urlaubsabgeltung stattgegeben. Der zwischen den Parteien zustande gekommene Vergleich habe nicht zum Untergang des Anspruchs geführt. Auch wenn der Vergleich zwar vorsehe, dass der Urlaubsanspruch des Klägers in Natur erfüllt wurde, ist diese Regelung nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG i. V. m. § 134 BGB in Bezug auf den Mindesturlaub unwirksam. Das BAG hat die Revision der Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen.

Aus der Pressemitteilung: 

Der Kläger hat gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023. Der Urlaubsanspruch ist nicht durch den Prozessvergleich erloschen. Die Vereinbarung, Urlaubsansprüche seien in natura gewährt, ist gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit sie einen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs regelt.

Weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs darf im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies gilt selbst dann, wenn bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung regelt, bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann.

Der bezahlte Mindesturlaub darf nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Im bestehenden Arbeitsverhältnis darf der Arbeitnehmer somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“.

Der geschlossene Prozessvergleich enthält keinen Tatsachenvergleich, auf den § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre. Ein Tatsachenvergleich setzt voraus, dass eine bestehende Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden soll. Angesichts der seit Anfang des Jahres 2023 durchgehend bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestand vorliegend kein Raum für eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs.

Der Einwand der Beklagten, dem Kläger sei es nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses zu berufen, blieb erfolglos. Die Beklagte durfte nicht auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen.

Fazit und Kommentar: 

Das BAG-Urteil stellt nunmehr klar, dass entgegen der nicht seltenen Praxis in streitigen Verfahren ein Verzicht auf gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam ist. Arbeitgeber sind daher gut beraten, Beendigungsvergleiche sorgfältig zu formulieren und auf Regelungen, die auf einen Verzicht des gesetzlichen Urlaubs hinauslaufen, selbst lieber zu verzichten. Arbeitnehmern steht derzeit die Prüfung einer nachträglichen Geltendmachung von Forderungen auf Urlaubsabgeltung offen. Einen Tatsachenvergleich schließt das BAG im Hinblick auf den Urlaub nicht grundsätzlich aus. Er ist jedenfalls dann möglich, wenn in der Angelegenheit Streit über die Urlaubsgewährung im fraglichen Zeitraum besteht. Haben Sie Fragen zu der Urlaubsabgeltung oder zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, sprechen Sie uns gerne an und vereinbaren einen Beratungstermin.

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht