Keine Rechtfertigung besserer Bezahlung durch männliches Verhandlungsgeschick

BAG, Pressemitteilung 10/23 v. 16.02.2023

Sachverhalt:

Die Klägerin ist bei der beklagten Arbeitgeberin seit dem 01. März 2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Auf Grundlage ihres Arbeitsvertrages hatte sie einen Gehaltsanspruch von monatlich 3.500,00 Euro brutto. Ab dem 01. August 2018 richtete sich ihre monatliche Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der u.a. auch die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems beinhaltete.

Die für die Tätigkeit der Klägerin relevante Entgeltgruppe des Haustarifvertrages sah ein Grundentgelt i.H.v. 4.140,00 Euro brutto vor. Der Haustarifvertrag beinhaltete zudem eine sog. Deckelungsregelung, wonach eine Anpassung um nicht mehr als 120,00 Euro brutto in den Jahren 2018 bis 2020 erfolgt, wenn das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt überschreitet. Vor diesem Hintergrund zahlte die Beklagte der Klägerin ab dem 01. August 2018 ein Grundentgelt i.H.v. 3.620,00 Euro brutto, das sodann in jährlichen Schritten angehoben werden sollte.

Die Beklagte beschäftigte neben der Klägerin u.a. einen männlichen Kollegen als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb. Dieser hatte seine Tätigkeit nur 2 Monate vor der Klägerin im Januar 2017 aufgenommen. Bei Eintritt bot die Beklagte diesem ebenfalls ein Grundentgelt i.H.v. 3.500,00 Euro brutto an, was der Arbeitnehmer ablehnte. Er verlangte bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung für die Zeit bis zum 31. Oktober 2017 ein Grundentgelt von 4.500,00 Euro brutto. Die Beklagte gab der Forderung des Arbeitnehmers nach.

In der Zeit von November 2017 bis zum Juni 2018 erhielten sowohl der Arbeitnehmer und die Klägerin dasselbe Grundentgelt i.H.v. 3.500,00 brutto Euro vergütet.

Ab Juli 2018 vereinbarte die Beklagte mit dem Arbeitnehmer eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000,00 Euro brutto. Die Beklagte begründete dies damit, dass der betreffende Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei.

Ab August 2018 leistete die Beklagte dem männlichen Arbeitskollegen der Klägerin entsprechend der Deckelungsregelung des Haustarifvertrages sodann eine monatliche Vergütung in Höhe von 4.120,00 Euro brutto.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zu zahlen, da der männliche Kollege nahezu zeitgleich mit ihr eingestellt wurde und sie die gleiche Arbeit verrichten. Darüber hinausgehend forderte sie eine Entschädigung i.H. v. mindestens 6.000,00 Euro brutto, weil die Beklagte sie infolge ihres Geschlechts benachteiligte.

Verfahrensgang:

Sowohl das Arbeitsgericht Dresden als auch das Sächsische Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin vor dem Bundesarbeitsgericht hatte weitgehend Erfolg. Bei der Entschädigungszahlung blieb das Bundesarbeitsgericht jedoch unter der Forderung der Klägerin.

Aus der Pressemitteilung:

Die Klägerin wurde in der Zeit von März bis Oktober 2017 und im Juli 2018 aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Denn die Beklagte zahlte der Klägerin ein niedrigeres Grundentgelt als ihrem männlichen Kollegen, obwohl beide die gleiche Arbeit verrichteten. Dieser Umstand begründet die gesetzliche Vermutungswirkung des § 22 AGG, wonach die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Beklagten gelang es nicht, diese Vermutung zu widerlegen.

Für den Zeitraum von März bis Oktober 2017 kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das höhere Entgelt des männlichen Kollegen nicht auf dem Geschlecht, sondern dem Umstand beruht, dass er – im Gegensatz zu der Klägerin – ein höheres Entgelt ausgehandelt hat.

Für den Monat Juli 2018 kann die Beklagte die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts insbesondere nicht damit begründet widerlegen, dass der männliche Arbeitnehmer einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt sei.

Für den Zeitraum ab dem 01. August 2018 hat die Klägerin einen höheren Entgeltanspruch, weil die Deckelungsregelung des Haustarifvertrages auf sie keine Anwendung findet. Denn die Klägerin hatte zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten.

Wegen der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts ist der Klägerin zudem eine Entschädigung i.H.v. 2.000,00 Euro zuzusprechen.

Fazit und Kommentar:

In seinem richtungsweisenden Grundsatzurteil hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Frauen für die gleiche oder gleichwertige Arbeit einen Anspruch auf gleiches Entgelt haben, andernfalls ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ vorliegt. Besseres Verhandlungsgeschick männlicher Kollegen ist kein zulässiges Unterscheidungskriterium. Akzeptierte Gehaltsforderungen eines Arbeitnehmers werden daher auf ebenso qualifizierte und erfahrene Arbeitnehmerinnen übertragen werden müssen, was der Arbeitgeber sicherstellen muss.

Mit dem Urteil trägt das Bundesarbeitsgericht den europarechtlichen Equal-Pay-Vorgaben Rechnung.  Mit dem EntgTranspG haben Arbeitnehmer in einem Betrieb ab 200 Beschäftigten einen Auskunftsanspruch zu der Höhe der Gehälter von Kollegen.

In der Zukunft wird sich zeigen, ob mit diesem Grundsatzurteil der Betriebsfrieden gewahrt und die Gleichbehandlung gefördert werden wird.

Sollten Sie zu Fragen zu dem Thema Gleichbehandlung, Equal Pay haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Fragen Sie einen persönlichen Beratungstermin an.

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht