Fristlose Kündigung unwirksam – Abmahnung als milderes Mittel vorrangig

LAG Düsseldorf, Urt. v. 08.10.2024, 3 SLa 313/24

Sachverhalt:

Der Kläger wird seit 2017 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Schlosser beschäftigt. Bei der Beklagten werden mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, so dass das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist. Es besteht ein Betriebsrat. Es gibt eine Gesamtbetriebsvereinbarung zu einer Arbeitsordnung. Zu der Arbeitsordnung gehört die Anlage „Business Conduct Guidelines („BCG“). Darin enthalten sind einheitliche Verhaltensvorgaben für die Mitarbeiter, um die Einhaltung von Gesetzen und Verhaltensvorschriften sicherzustellen. Darin enthalten ist auch die Vorgabe, dass kein Mitarbeiter das Ansehen des Unternehmens durch das eigene Verhalten beeinträchtigen soll. Ferner ist geregelt, dass keine Diskriminierung, keine sexuelle Belästigung und auch keine sonstigen persönlichen Angriffe auf einzelne Personen oder Gruppen aufgrund von ethnischer Herkunft, Kultur, Religion, Alter, Behinderung etc. geduldet werden. Bei Verstößen gegen Gesetze und der BCG werden arbeitsrechtliche Konsequenzen angezeigt.

Am 31.10.2023 fragte der Kläger über seine Statusmeldung auf seinem privaten Facebook-Profil an, wann die nächste Demo „gegen Juden“ in NRW laufe.

Zudem veröffentliche der Kläger in einer weiteren Statusmeldung ein Video. In dem Video war die Stürmung eines aus Tel Aviv kommenden Flugzeuges durch eine Menschenmenge zu sehen, die antisemitische Parolen rief. Es wurden gezielt israelische Passagiere gesucht und 20 Menschen verletzt.

Der Kläger postete dieses Video und versah es mit den Worten:

Das sind Männer. Die protestieren, dass keine israelischen Flugzeuge mehr kommen sollen Flughafen ist für Flüge geschlossen, so muss es sein. Das Land heißt Dagestan. Ehrenmänner.“

Auf dem Facebook-Account des Klägers wurde unter „Lebensereignis“ die Beklagte als Arbeitgeberin ausgewiesen.

Nachdem die Beklagte von der Veröffentlichung des Klägers erfuhr, bat sie diesen zu einem Gespräch. Im Verlauf des Gesprächs wurde der Kläger mit den Posts konfrontiert. Er räumte ein, dass es sich um von ihm stammende Posts auf seinem Facebook Account handelte.

Die Beklagte hörte sodann den Betriebsrat zu einer außerordentlichen und ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat stimmte beiden Kündigungen zu. In der Folge kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich.

Der Kläger wehrte sich gegen die Kündigungen und erhob Kündigungsschutzklage.

Verfahrensgang: 

Das Arbeitsgericht Oberhausen gab der Kündigungsschutzklage statt. Das LAG Düsseldorf bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.

Aus den Entscheidungsgründen: 

Die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 15.11.2023 genügt weder den Anforderungen des § 626 Abs. 1 BGB noch denen aus § 1 Abs. 2 KSchG. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist nicht beendet.

Als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB – und damit zugleich auch als verhaltensbedingter Kündigungsgrund einer ordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG – kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet.

Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Der Arbeitnehmer verstößt mit einem solchen Verhalten gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn es einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden.

Die Pflichtverletzung beruht auf der schwerwiegenden Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, indem der Kläger durch Benennung der Beklagten als Arbeitgeberin einen Bezug seiner Äußerungen zu seiner Arbeitgeberin hergestellt hat und diese damit nicht nur potentiell, sondern bereits konkret die Gefahr der Rufschädigung begründend in die öffentliche Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem Israel-Gaza-Konflikt hineingezogen hat. Die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers ist nicht entscheidend.

Die Pflichtverletzung des Klägers war zwar geeignet, die Interessen der Beklagten erheblich zu beeinträchtigen und zu einer schwerwiegenden Rufschädigung zu führen. Daher ist die schwerwiegende Pflichtverletzung „an sich“ geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Eine außerordentliche Kündigung scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel gegeben ist. Eine schonenderes Gestaltungsmittel kann die Abmahnung oder auch die ordentliche Kündigung sein, wenn dadurch das Risiko künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses erreicht werden kann.  Die außerordentliche Kündigung verfolgt nicht den Zweck, das pflichtwidrige Verhalten zu sanktionieren. Hieran gemessen hielt die außerordentliche Kündigung der Beklagten den Anforderungen des § 626 Abs. 1 BGB nicht Stand. Die Wirksamkeit der Kündigung scheiterte letztlich am Fehlen einer einschlägigen Abmahnung, die hier im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorrangig vor dem Ausspruch einer Kündigung gewesen wäre.

Entsprechendes gilt auch für die hilfsweise ordentliche Kündigung.

Fazit und Kommentar: 

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf zeigt, dass Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und strafbares Verhalten im außerdienstlichen Bereich nicht per se die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Vielmehr müssen das Arbeitsverhältnis sowie die berechtigten Belange des Arbeitgebers durch einen konkreten Bezug beeinträchtigt sein.  Im Einzelfall mag bei einem steuerbaren Verhalten eine Abmahnung erforderlich und damit ein vorrangiges, milderes Mittel sein.

Es bedarf in solchen Fällen stets der Würdigung der Einzelumstände.

Sprechen Sie uns hierzu jederzeit gerne an, wir unterstützen Sie!

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht