Außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig – Abmahnung milderes Mittel

LAG Köln, Urt. v. 06.07.2023 – 6 Sa 94/23

Sachverhalt:

Der 42-jährige, seiner Ehefrau und seinen 3 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit 2010 bei der beklagten Arbeitgeberin als Produktionsleiter beschäftigt. Der Kläger erzielt ein Gehalt von 9.473,00 Euro. Die Arbeitgeberin beschäftigt deutlich mehr als 10 Arbeitnehmer in ihrem Unternehmen, das sich mit hochwertigen Kabelsystemen für die Bereiche Medizin, Industrie- und Wehrtechnik befasst. Im März 2022 erhielten die Beschäftigten die Information, dass das Lager ausgemistet wird und Plastikboxen sowie Kisten zur freien Mitnahme bereitgestellt werden.

Am 18.03.2022 veranlasste der Kläger den Abtransport von drei Holzpaletten, um diese später auf dem Sportplatz eines örtlichen Fußballvereins für das dort veranstaltete Osterfeuer als Brennholz verwenden zu lassen. Im Bereich Compliance gilt bei der Beklagten die Amphenol Corperation Verhaltens- und Ethikrichtlinie. Am 24.03.2022 wurde der Kläger im Rahmen eines Personalgespräches zum Vorwurf des Diebstahls angehört. Der Kläger zeigte in dem Gespräch an, dass es sich bei den drei Paletten um wertlosen Schrott gehandelt habe, der zum Verbrennen bestimmt gewesen sei. Die Beklagte hörte sodann den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat teilte hinsichtlich der fristlosen Kündigung Bedenken mit und widersprach der ordentlichen Kündigung. Als Begründung gab der Betriebsrat an, dass es seit jeher üblich sei, dass Einweg-Paletten und beschädigte Paletten als Brennholz mit nach Hause genommen werden dürften. Dies sei auch vom ehemaligen Geschäftsführer so gehandhabt und bestätigt worden. Um nichts Anderes habe es sich in dem vorliegenden Fall gehandelt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Kündigungsschreiben vom 29.03.2022 dennoch fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 31.07.2022. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage.

Verfahrensgang:

Das Arbeitsgericht Siegburg hat der Klage stattgegeben, weil kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorlag und auch keine Tatsachen gegeben waren, die eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen vermochten. Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte die Entscheidung im Berufungsverfahren.

Aus den Entscheidungsgründen

Die außerordentliche Kündigung war unverhältnismäßig. Der Pflichtverletzung des Klägers – das Wegschaffen dreier neuwertiger Paletten – hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen und dass sie nicht ausgereicht hätte, ihn anzuhalten, künftig das Recht seiner Arbeitgeberin an Sachen ihres Gewahrsams besonders sorgfältig zu achten. Eine Abmahnung war auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Schwere des Vorwurfs entbehrlich. Dafür ist der Wert der Paletten zu gering, dafür zeigt sich bei der Tat zu wenig kriminelle Energie, dafür ist die Tatbegehung zu wenig heimlich und dafür ist das Gesamtbild der Tat – Verbrennen von Verpackung beim Osterfeuer – zu banal. Eine einschlägige Abmahnung lag nicht vor. Die außerordentliche Kündigung erweist sich daher jedenfalls wegen des Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig.

Auch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet worden. Die streitgegenständliche Kündigung ist an den Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes zu messen, da die Voraussetzungen für dessen Anwendbarkeit erfüllt sind. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil sie nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Tatsachen bedingt ist, die im Verhalten des Klägers liegen. Auch vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ist die Verhältnismäßigkeit zu prüfen und damit die Tatsache, ob nicht weniger einschneidende Tatsachen geeignet sind, die durch die Vertragspflichtverletzung eingetretene Störung des Vertrauensverhältnisses zu überwinden. Hier gilt das oben zur fristlosen Kündigung Ausgeführte entsprechend: Vor Ausspruch einer Beendigungserklärung war als milderes Mittel eine Abmahnung auszusprechen. Nach alldem erweist sich die Kündigungserklärung vom 29.03.2022 als unwirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch nach Anlauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet.

Fazit und Kommentar:

Das Urteil des LAG Köln stellt eine Einzelfallentscheidung dar. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung der gesamten Umstände ist die Interessenabwägung in diesem Fall zu Gunsten des Klägers, der als Produktionsleiter auch Vorbildfunktion hat, ausgefallen. Dennoch gilt, dass Arbeitnehmer auch bei Geringfügigkeit keine Gegenstände des Arbeitgebers ungefragt mitnehmen dürfen. Denn die Interessenabwägung kann einzelfallbedingt auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers ausfallen und ein Arbeitsverhältnis sehr rasch wirksam beenden. In jedem Fall heißt es nach Ausspruch einer Kündigung, die Einhaltung der drei-wöchigen Klagefrist im Auge zu behalten. Auf Arbeitgeberseite sollte vor Ausspruch einer Kündigung genau geprüft werden, ob es nicht mildere Mittel gibt, um mit Beendigung eines Verfahrens nicht böse und kostspielig erwachen zu müssen. Haben Sie Fragen zu dem Thema, dann sprechen Sie uns gerne an und vereinbaren einen Beratungstermin in unserer Kanzlei.

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht