Kein ernstgemeintes Angebot für Prozessbeschäftigung

BAG, Pressemitteilung 17/23 v. 29.03.2023

Sachverhalt:

Der Kläger war seit dem 16.08.2018 bei der beklagten Arbeitgeberin als technischer Leiter tätig. Seine Vergütung belief sich auf 5.250,00 Euro brutto. Die Beklagte übermittelte dem Kläger mit Schreiben vom 02.12.2019 eine fristlose Änderungskündigung. Mit der Änderungskündigung bot die Beklagte dem Kläger gleichzeitig einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine reduzierte Vergütung in Höhe von monatlich 3.750,00 Euro brutto an. In dem Kündigungsschreiben führte die Beklagte aus:

„im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“.

Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab. Er erschien auch nicht zur Arbeit.

Sodann kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.12.2019 erneut und zwar „außerordentlich zum 17.12.2019 um 12 Uhr MEZ.“  Die Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass sie ihn „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ“ zum Arbeitsanritt erwarte. Der Kläger erschien erneut nicht zur Arbeit.

Der Kläger wandte sich gegen die ausgesprochenen Kündigungen und erhob Kündigungsschutzklage. Er forderte weitergehend sein arbeitsvertraglich vereinbartes Gehalt für den Zeitraum von Mitte Dezember 2019 bis zum 31.03.2020 abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes. Seit dem 01.04.2020 hatte der Kläger eine neue Beschäftigung aufgenommen.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass ihm eine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten zu den geänderten oder auch zu den ursprünglichen Arbeitsbedingungen – sofern die Beklagte dies überhaupt ernsthaft angeboten hatte – nicht zumutbar gewesen ist.

Weitergehend habe die Beklagte ihm zur Begründung ihrer fristlosen Kündigungen in umfangreichen Ausführungen zu Unrecht mannigfaches Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person damit herabgewürdigt. Die Beklagte habe selbst geltend gemacht, dass ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar sei.

Die Beklagte hielt dagegen und argumentierte, dass der Kläger während des Kündigungsschutzprozesses bei ihr nicht gearbeitet und sie sich damit auch nicht im Annahmeverzug befunden habe. Auch sei der Kläger selbst von einer Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausgegangen. Denn im Kündigungsschutzprozess stellte er einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

Verfahrensgang:

In dem Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen unwirksamen waren und das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hatten.

Im Hinblick auf die Vergütungsforderungen unterlag der Kläger erst- und zweitinstanzlich. Das Sächsische LAG hatte ausgeführt, dass der Kläger trotz der unwirksamen Kündigungen keinen Anspruch auf eine Annahmeverzugsvergütung hatte, weil er das Angebot der Beklagten, während des Kündigungsschutzprozesses bei ihr weiterzuarbeiten, nicht angenommen hatte. Der Kläger sei i.S.d. § 297 BGB nicht leistungswillig gewesen.

Die Revision des Klägers vor dem BAG hatte Erfolg.

Aus der Pressemitteilung:

Ohne dass es eines Arbeitsangebotes des Klägers bedurft hätte, befand sich die Beklagte aufgrund der unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug.

Da die Beklagte selbst davon ausgegangen war, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten, sprach wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitet hatte. Die abweichende Auffassung des LAG beruhte auf einer nur selektiven Berücksichtigung des Parteivortrages und war damit nicht vertretbar, so das BAG.

Die Ablehnung eines solchen „Angebots“ durch den Kläger lässt nicht auf einen fehlenden Leistungswillen i.S.d. § 297 BGB schließen. In Betracht zu ziehen wäre allenfalls, ob der Kläger sich nicht nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müsste.

Das schied nach Auffassung des BAG aus, weil dem Kläger infolge der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Beklagten nicht zuzumuten war.

Dem steht der Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung nicht entgegen. Denn der Antrag war auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigung gerichtet. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte dieser sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Hier aber ging es um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Nach Auffassung des BAG macht es einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen – gravierenden – Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann.

Fazit und Kommentar:

Das Vorgehen des Arbeitgebers hat sich kostenintensiv zugunsten des Arbeitnehmers ausgewirkt. Sollten Sie zu Fragen zu dem Thema fristlose Kündigung und/oder Annahmeverzug  haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Fragen Sie einen persönlichen Beratungstermin an.

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht