Tatnachweis vom Arbeitgeber bei fristloser Kündigung wegen Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit zu führen
LAG Köln vom 21.01.2025 – 7 SLa 204/24
Sachverhalt:
Der 50-jährige Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 2001 in der Logistik beschäftigt. Die Tätigkeit in der Logistik ist körperlich geprägt und muss vor Ort erbracht werden. Da der Kläger eine anerkannte Schwerbehinderung mit einem GdB 50 ausweist und gesundheitliche Schwierigkeiten hat, gestaltete die Beklagte die Arbeitsaufgaben so, dass er diese 3 Mal/Woche aus dem Homeoffice erbringen konnte. Die Arbeitszeit ist mittels Gesamtbetriebsvereinbarung flexibel. Der Kläger war vom 31.10.2022 bis zum 04.11.2022 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Am Abend des 04.11.2022 nahm der Kläger als Mitglied eines Karnevalsvereins an dem sog. Mobilmachungsappel teil. Die Beklagte leistete bis zum 04.11.2022 Entgeltfortzahlung.
Der Kläger war vom 27.12.2022 bis zum 30.12.2022 erneut arbeitsunfähig krankgeschrieben. Für die Zeit vom 02.01.2023 bis zum 06.01.2023 legte er eine Folgebescheinigung vor. Am 05.01.2023 nahm der Kläger im Rahmen einer weiteren Karnevalsveranstaltung an dem sog. Generalkorpsappell teil. Der Kläger wurde in einem Video aufgenommen als er in voller Uniform in den Saal marschierte. Die Beklagte leistete u.a. für den 05.01. und 06.01.2023 Entgeltfortzahlung.
Nachdem die Beklagte Kenntnis von der Teilnahme des Klägers an den Karnevalsveranstaltungen in dem Zeitraum bestehender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erlangte, hörte sie ihn hierzu an. Der behandelnde Arzt des Klägers attestierte, dass in der Zeit vom 27.12.2022 bis zum 06.01.2023 kein Ausgehverbot bestand.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 17.02.2023 außerordentlich fristlos und mit Schreiben vom 19.04.2023 ordentlich zum 31.12.2023. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Er wandte ein, dass er beide Male an akuten Atemwegsinfekten erkrankt sei. Am 04.11.2022 seien die Symptome bis auf den Husten und eine leichte Erschöpfung nicht vorhanden gewesen. Daher habe er vor der Veranstaltung abgesprochen, dass er nach zwei Stunden abgeholt werde.
Am 05.01.2023 habe er seine Belastungsfähigkeit testen wollen. Zur Vermeidung einer erneuten Arbeitsunfähigkeit habe er sich daher nach einer Stunde abholen lassen.
Verfahrensgang:
Das Arbeitsgericht Köln hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das LAG Köln hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die außerordentliche Kündigung vom 17.02.2023 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit ihrem Zugang beendet.
Es stellt „an sich“ einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attestes der Arbeit fernbleibt, obwohl er in Wahrheit nicht arbeitsunfähig ist und es sich nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. Der Arbeitnehmer, der zugleich Entgeltfortzahlung begehrt, wird dann regelmäßig sogar einen (versuchten) Betrug begehen, da er durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Arbeitgeber unter Vortäuschung falscher Tatsachen dazu veranlassen will, ihm unberechtigterweise die Vergütung fortzuzahlen (BAG 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – Rn. 23)
Vorliegend fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Die Kündigung wurde – aus welchen Gründen auch immer – ausdrücklich nur als Tatkündigung ausgesprochen. Der Beklagten ist es aber nicht gelungen, den Tatnachweis zu führen, d.h. dem Kläger nachzuweisen, dass er seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat.
Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände des wichtigen Grundes iSv. § 626 BGB bzw. des Kündigungsgrundes nach § 1 Abs. 2 KSchG. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Er muss daher auch darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt gefehlt hat und die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorliegt. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern bzw. zu entkräften, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage des Attestes bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, seinen Vortrag z.B. mit Hinweisen zu den Fragen, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente gegeben wurden, weiter zu substantiieren. Erst wenn der Arbeitnehmer insoweit seiner Substantiierungspflicht nachgekommen ist und ggf. die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber auf Grund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen.
Falls der behandelnde Arzt die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach dem Kalenderdatum bestimmt hat, wird die Arbeitsunfähigkeit für das Ende der betriebsüblichen Arbeitszeit an dem in der Bescheinigung erwähnten letzten Kalendertag bescheinigt (vgl. BAG, Urteil vom 14. September 1983 – 5 AZR 70/81 –, BAGE 43, 291-297, Rn. 15 – 16).
Zum Zeitpunkt der Teilnahme war die Arbeitsunfähigkeit bereits beendet. Dass der Kläger am Abend des 04.11.2022 bei unterstellter Arbeitsfähigkeit noch eine Arbeitsleistung hätte erbringen müssen, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
Der Besuch einer Karnevalsveranstaltung kurz nach Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit erschüttert nicht den Beweiswert der ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Dies gilt zumindest vor dem Hintergrund des diagnostizierten Infekts der oberen Atemwege. Das Bestehen des Tatvorwurfs, nämlich das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit, lässt sich somit nicht mit der für einen Tatnachweis notwendigen Sicherheit feststellen.
Anders sieht es jedoch hinsichtlich der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit vom 02.01.2023 bis zum 06.01.2023 aus. Durch die Teilnahme des Klägers am Generalkorpsappell am 05.01.2023 ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Denn die Veranstaltung lag innerhalb des Arbeitsunfähigkeitszeitraums und nur drei Tage nachdem der behandelnde Arzt die weiterbestehende Arbeitsunfähigkeit festgestellt haben will.
Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Kläger nunmehr seine Arbeitsunfähigkeit beweisen muss.
Im Kündigungsprozess besteht für den Kläger wie oben ausgeführt nur eine sekundäre Darlegungslast, der der Kläger nachgekommen ist. Denn er hat vorgetragen, an welcher Erkrankung er gelitten und welche Symptome er hatte. Er hat seinen behandelnden Arzt benannt und ihn von der Schweigepflicht entbunden.
Daraufhin lag es wieder an der Beklagten, das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit konkret darzulegen und zu beweisen. Das bloße Anzweifeln der Angaben des Klägers und seines Arztes durch die Beklagte reicht dabei nicht aus.
Die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attests erschüttern, sind vorliegend auch nicht so gravierend, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit des Arbeitnehmers sei nur vorgetäuscht. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer wegen eines akuten Bandscheibenvorfalls arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, aber beim Tanz auf der Karnevalsbühne gesichtet wird.
Fazit und Kommentar:
Die Entscheidung des LAG Köln zeigt, dass die wirksame Kündigung eines Arbeitsverhältnisses im konkreten Einzelfall komplex sein kann und gut vorzubereiten ist, wenn ein kostenintensives Erwachen in der zweiten Instanz vermieden werden will. Für Arbeitnehmer ist es im Kölner Raum per se keine gute Idee, sich über die Karnevalstage arbeitsunfähig krankschreiben zu lassen, um der Tradition zu frönen. Doch es zeigt, dass der Ausspruch einer wirksamen Kündigung nicht selten hohe Hürden hat und eine gerichtliche Überprüfung gewinnbringend sein kann.
Sprechen Sie uns im Falle einer anstehenden Kündigung gerne frühzeitig an und vereinbaren einen Beratungstermin, zumal im Arbeitsrecht kurze Fristen laufen. Wir unterstützen Sie fachkundig.
Silvana Dzerek
Fachanwältin für Arbeitsrecht