Kein zwingender Schutz durch Vertraulichkeit bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen

PM Nr. 33/23 v. 24.8.2023; BAG, Urt. v. 24.08.2023 – 2 AZR 17/23

Sachverhalt:

Der Kläger arbeitete bei einer Fluggesellschaft mit ca. 2.100 Arbeitnehmern, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet. Es standen Umstrukturierungen an, so dass der Wechsel einiger Chatmitglieder durch Abschluss eines Drei-Parteien-Vertrags gegen Zahlung einer Abfindung in eine Transfergesellschaft anstand.

Der Kläger gehörte seit 2014 einer privaten Chatgruppe an. Neben ihm gehörten noch 5 andere Arbeitskollegen der Fluggesellschaft der Chatgruppe an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege in die Chatgruppe aufgenommen. Die Mitglieder waren seit vielen Jahren befreundet, bei zwei Mitgliedern handelte es sich um Brüder.

Die Mitglieder der Chatgruppe tauschte sich auf ihren privaten Smartphones über übliche private Themen aus. Daneben äußerten sich der Kläger und mehrere andere Gruppenmitglieder der Chatgruppe in beleidigender und menschenverachtender Weise u.a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Teile des Chatverlaufs mit erheblichen Beleidigungen von Vorgesetzten und anderen Kollegen gelangten an den Betriebsrat und sodann an den Personalleiter. Ein Mitglied der Chatgruppe bestätigte die Richtigkeit des Inhalts des Chatverlaufs sodann schriftlich.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass der Inhalt des Chat-Verlaufs von der Beklagten nicht habe verwendet werden und im Rechtsstreit demnach auch nicht verwertet werden dürfen, da es sich um einen reinen privaten Austausch gehandelt habe. Daher sei die Kündigung unwirksam.

Verfahrensgang:

Das ArbG Hannover und das LAG Niedersachsen gaben der Kündigungsschutzklage statt. Die Revision der beklagten Arbeitgeberin hatte Erfolg, das BAG hob das Urteil des LAG Niedersachsen auf und verwies die Sache dorthin zurück.

Aus der Pressemitteilung:

Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus 7 Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.

Das LAG Niedersachsen hat rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen, auf dieser Grundlage das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint und die Kündigung für unwirksam erachtet.

Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Kläger berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Vor dem LAG Niedersachen erhält der Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Fazit und Kommentar:

Beleidigungen von Kollegen und Arbeitgebern in sozialen Medien spielen vor den Arbeitsgerichten eine immer größer werdende Rolle. Die Rechtsprechung zu ehrverletzenden Äußerungen in geschlossenen Gruppen von Messaging-Diensten ist bislang uneinheitlich. Das BAG beschäftigte sich daher erstmals mit der Frage, ob eine kleine WhatsApp-Gruppe eine Art geschützter, vertraulicher Raum ist, so dass Beschimpfungen und Beleidigungen mit betrieblichem Bezug sanktionslos ausgetauscht werden können. Beschimpfungen und Beleidigungen wird der Arbeitgeber üblicherweise mit einer fristlosen Kündigung sanktionieren. Haben Sie Fragen zu dem Thema einer Kündigung, dann sprechen Sie uns frühzeitig an und vereinbaren einen Termin in unserer Kanzlei.

 

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht