Verjährung des Urlaubsanspruchs

BAG, Pressemitteilung 48/22 v. 20.12.2022;

Sachverhalt:

Die Klägerin war in der Zeit von November 1996 bis Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin bei der beklagten Kanzlei beschäftigt. Im Kalenderjahr hatte sie einen Anspruch auf Erholungsurlaub von 24 Tagen. Aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens konnte sie den gesetzlichen Mindesturlaub jedoch nicht vollständig nehmen. Im Jahr 2012 bescheinigte die Beklagte der Klägerin, dass sie aus 2011 und den Vorjahren einen Resturlaubsanspruch von 76 Tagen hat.

Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Klägerin die Abgeltung von 101 Tagen Urlaub aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Die Beklagte verwies darauf, dass ihr Urlaub verfallen und verjährt sei. Sie hatte die Klägerin nicht aufgefordert, weiteren Urlaub zu nehmen, noch hatte sie die Klägerin darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt.

Verfahrensgang:

Das Arbeitsgericht Solingen verurteilte die Beklagte zur Abgeltung von 3 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und wies die Klage darüberhinausgehend ab. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf verurteilte die Beklagte sodann zur Abgeltung weiterer 76 Tage in Höhe von 17.376,64 Euro brutto für die Jahre 2013 bis 2016.

Die Beklagte ging in Revision und rief das BAG an. Da das deutsche Urlaubsrecht aber maßgeblich durch das Europäische Recht geprägt ist, legte das BAG den Streitfall dem EuGH vor.

Nach dem BUrlG verfällt der Urlaub, der im aktuellen Kalenderjahr nicht genommen werden kann, grundsätzlich zum Ende des Kalenderjahres, spätestens zum 31.03. des Folgejahres, § 7 Abs. 3 BUrlG.

Mit Urt. v. 06.11.2018 – C – 684/16 hatte der EuGH bereits festgestellt, dass der Urlaub nur dann verfallen könne, wenn der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, den Urlaub zu nehmen.

In der Folge begründete das BAG in den Urt. v. 19.02.2019, 9 AZR 541/15; 9 AZR 423/16 eine Hinweis- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer rechtzeitig darauf hinweisen, dass sein Urlaub verfällt und ihn auffordern, diesen zu nehmen. Kommt der Arbeitgeber der Hinweis- und Aufklärungspflicht nicht nach, verfällt der Urlaubsanspruch nicht.

Auch wenn die Beklagte die Hinweis- und Aufklärungspflichten im vorliegenden Fall nicht erfüllte, wollte das BAG vom EuGH wissen, ob nicht genommene Mindesturlaubsansprüche nach §§ 195,199 BGB nach 3 Jahren verjähren können, wenn das jahrelange Fortbestehen darauf zurückzuführen ist, dass der Arbeitgeber seine Mitwirkungspflicht nicht erfüllt hat. Das BAG tendierte dazu, aus Gründen der Rechtssicherheit dem Urlaubsabgeltungsanspruch nach 3 Jahren die Verjährung entgegenzusetzen.

Der EuGH verneinte diese Frage im Sinne der Arbeitnehmerinteressen.

Der EuGH sah es als richtig an, dass der Arbeitgeber zwar ein begründetes Interesse daran hat, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert zu werden, die mehr als 3 Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche betreffen. Doch dieses Interesse sei ausweislich des EuGH dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen. In diese vermeidbare Situation habe sich der Arbeitgeber selbst gebracht.

Das BAG entschied sodann zugunsten der Klägerin und wies die Revision zurück.

Aus der Pressemitteilung:

Die Vorschriften der Verjährung sind auf den gesetzlichen Mindesturlaub anzuwenden. Die regelmäßige 3-jährige Verjährungsfrist beginnt nicht zwingend mit dem Ende des Urlaubsjahres, in dem der Urlaub entstanden ist.

Die Verjährung beginnt vielmehr erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht nimmt.

Damit setze das BAG die Vorgaben des EuGH um, nach dem der Zweck der Verjährungsvorschriften zur Schaffung von Rechtssicherheit in diesem Fall hinter dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers zurücktritt.

Fazit und Kommentar:

Die Entscheidung des BAG bekräftigt einmal mehr, dass das nationale Urlaubsrecht stark von dem Unionsrecht geprägt wird.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Ausführungen des BAG zur Verjährung den Urlaubsanspruch, nicht hingegen den Urlaubsabgeltungsanspruch betreffen.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nach bisheriger BAG-Rechtsprechung ein reiner Geldanspruch, der sowohl der Verjährung als auch arbeits- und tarifvertraglichen Ausschlussfristen unterliegt. Abzuwarten bleibt, ob das BAG Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche künftig gleich behandeln wird.

Nur vordergründig ging es in dem zu entscheidenden Fall um einen Abgeltungsanspruch, in der Sache aber um die Frage, ob der 2012 bestehende und schriftlich anerkannte Urlaubsanspruch in den Jahren 2013 bis 2016 verjährte.

Vor dem Hintergrund dieser BAG-Entscheidung könnten wegen Verletzung urlaubsrechtlicher Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers jedenfalls offene Abgeltungsansprüche von Arbeitnehmern praktische Relevanz erlangen, die 2020 oder zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind.

Für Arbeitgeber wird nochmals deutlich, wie wichtig die ordnungsgemäße Erfüllung der Hinweis- und Aufklärungspflicht ist, da es andernfalls kostspielig werden kann.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Urlaub, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Fragen Sie einen persönlichen Beratungstermin an.

Silvana Dzerek

Fachanwältin für Arbeitsrecht