Vermutungswirkung bei Planung von Betriebsänderung und Interessenausgleich mit Namensliste
PM Nr. 32/23 v. 17.8.2023; BAG, Urt. v. 17.08.2023 – 6 AZR 56/23
Sachverhalt:
Der Kläger war seit 2011 bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt. Hierbei handelte es sich um ein Unternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Spezialprofilen aus Stahl und Stahlerzeugnissen. Die Insolvenzschuldnerin beschäftigte ca. 400 Arbeitnehmer. Es bestand ein Betriebsrat. Der beklagte Insolvenzverwalter schloss mit dem Betriebsrat am 29.06.2020 einen Interessenausgleich, da eine Betriebsstilllegung geplant war. Der Interessenausgleich beinhaltete drei verschiedene Namenslisten, die insgesamt alle Arbeitnehmer aufführte. Der Kläger war auf der zweiten Liste namentlich benannt.
Nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt mit Schreiben vom 29.06.2020 zum 31.05.2021. Wegen einer behaupteten Schwerbehinderung kündigte der Insolvenzverwalter vorsorglich ein weiteres Mal mit Schreiben vom 20.08.2020 zu demselben Kündigungstermin. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage.
Verfahrensgang:
Das LAG Hamm sah die Kündigungen als unwirksam an und gab der Klage statt. Das BAG entschied auf die Revision des Beklagten anders. Es hob das Urteil des LAG Hamm auf und wies die Klage ab.
Arbeitgeberin auf die feste Montage des Gerätes besteht. Das Landesarbeitsgericht Köln hat die sofortige Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss zurückgewiesen.
Aus der Pressemitteilung:
Die zweite Kündigung vom 20.08.2020 beendete das Arbeitsverhältnis des Klägers wirksam zum 31.05.2021. Einen besonderen Kündigungsschutz genießt der Kläger mangels Schwerbehinderung nicht.
Der Kläger ist aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste gekündigt worden. Daher ist aufgrund der Regelung des § 125 I Nr. 1 InsO zu vermuten, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 II KSchG bedingt ist.
Bei Abschluss des Interessenausgleichs muss sich die Betriebsänderung aber noch in der Planungsphase befinden, so dass der Betriebsrat i.S.d. § 111 BetrVG Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen nehmen kann.
Der beklagte Insolvenzverwalter hat hinreichend dargelegt, dass die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung bereits geplant war. Die diesbezügliche Vermutungswirkung hat der Kläger nicht widerlegt. Auf die Wirksamkeit der ersten Kündigung und die damit zusammenhängenden prozessualen Probleme kam es nicht mehr an.
Fazit und Kommentar:
Ein Arbeitnehmer kann bei einem vereinbarten Interessenausgleich mit Namensliste prozessual kaum noch widerlegen, dass dringende betriebliche Gründe eine Kündigung rechtfertigen.
Betriebsräte lassen sich unter Druck und gerade bei Betriebsstilllegungen auf eine Namensliste ein, damit sich der Arbeitgeber im Gegenzug auf annehmbare Regelungen für die Beschäftigten einlässt. Denn ein Interessenausgleich ist anders als der Sozialplan nicht erzwingbar. Schwierig wird es, wenn bloße Planungen für eine Betriebsänderung oder eine Schließung ausreichen, die letztlich nicht feststehen müssen. Aber genau dieses frühe Stadium ermöglicht es dem Betriebsrat gerade auf die Entscheidungen des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen.
Sollten sich die Planungen sodann als falsch herausstellen, bleibt dem Arbeitnehmer u.U. der Anspruch auf Wiedereinstellung. Ratsam ist es für den Betriebsrat, einen solchen Anspruch im Sozialplan aufzunehmen.
Sollten Sie Fragen zu einer Kündigung, Betriebsänderung oder zu Verhandlungen von Interessenausgleich- und Sozialplanvereinbarungen haben, sprechen Sie uns gerne an.
Silvana Dzerek
Fachanwältin für Arbeitsrecht